(„Tatort Paderborn“ als zweckfreie Institution)
Welchen Zweck hat Kunst?
Was bringt Kunst mir, was bringt sie Ihnen?
Ich lass’ mal die kunsthistorische Funktionsdebatte beiseite. Natürlich hat Kunst immer auch Funktionen, die ihr von aussen zuteil wurden.
Moderne Kunst aber ist frei, so heißt es. Sie dient keinem Zweck. Mehr noch, sie darf gar keinem Zweck dienen, sonst verliert sie ihren Status.
Moderne Kunst hat also nur einen einzigen Zweck – den Selbstzweck.
Wirklich?
Was soll Kunst dann hier in Paderborn, an der Pader?
Nichts, außer sie selbst sein? Ihrem Selbstzweck genügen? Völlig nutzlos sein?
Was machen dann all die Paderborner, die mit moderner Kunst nichts anfangen können? Wird das hier – der „Tatort Paderborn“ – eine Verstanstaltung für eine kleine Gruppe Kunstsinniger, kulturell Gebildeter, für eine Elite?
Ich behaupte, je zweckfreier Kunst ist, desto mehr leistet sei, ja, auch für uns, für Sie privat, für Sie in Ihren Ämtern und Funktionen, für Paderborn, für die Feunde der Pader sowieso.
Die Kunst, weil zweckfrei, leistet nämlich etwas Fundamentales.
Fast jeder Teilnehmer hier unter uns hat einen anderen Blick auf die Pader, auf das Wasser, hat eigene Wörter dafür.
Der eine sieht es touristisch, als Ort der Erholung, für Picknicks, Ausflüge, Spaziergänge. Die nächste sieht das Quellgebiet als Naturraum mit seltenen Tieren, der nächste nimmt es philosophisch-symbolisch, die Vierte sieht darin unterirdisches Netzwerk, einen Lieferanten von Trinkwasser, eine Komponente im Kreislauf der Wasserwirtschaft.
Jede und jeder hat seine eigene Perspektive, seine Wahrnehmung, seine Wörter.
Wörter sind das Resultat unserer Wahrnehmung, die Wahrnehmung wiederum ist das Resultat von Worten. Wahrnehmung und Sprache sind eine bewusstseinsschaffene, untrennbare Einheit.
Was war am Anfang, Henne oder Ei?
Am Anfang war das Wort. Dieses theologische Axiom ist weltanschaulich von der Philosophie (Wittgenstein) wie auch naturwissenschaftlich längst aufgegriffen und mit je eigener Sprache versehen worden.
Kunst, die sich mit den Themen Pader und Wasser auseinandersetzt, also dem Ursprung schlechthin, die kann ja gar nicht anders als uns neue Wahrnehmungskanäle zu diesen Themen öffnen.
Je zweckfreier, desto mehr. Desto besser.
Wir erhalten neue Wahrnehmungen, für die es noch keine Begriffe gibt. Indem wir Kunst wahrnehmen, formen wir Begriffe, mit den Begriffen nehmen wir anders wahr, daraus folgen wieder anderer Begriffe, daraus andere Wahrnehmungen.
In diesem Kreislauf, immerfort.
Gehirnphysiologisch heist das, es gibt neue Synapsenverbindungen. Neue Synapsen bedeuten mehr Identifikation. Pader und Wasser werden zu unserer Pader und unserem Wasser, nicht weil der eine oder andere (Bürgermeister, Anführer, Millionär) sich das so wünscht, sondern weil Menschen sich damit beschäftigen, damit was tun, bei sich und in sich und in Kommunikation miteinander. Es geht um Handlungen. Etwas tun. Was anderes tun.
Kunst erfüllt so das, was der Traum eines jeden Managers ist, sie schafft intrinsische Motivation, inneren Anreiz, der ja notwendiger Bestandteil eines jeden effektiven Systems ist. Das wissen Lehrer, das wissen Unternehmer, und (wir) Eltern sowieso.
Indem wir die Kunst auf Pader, Wasser und Paderborn loslassen, entsteht etwas, was nicht einmal die Renaturierung der Pader zu leisten vermag.
Der Antrieb für Renaturierung beruht ja auf der Annahme, dass unberührte, jungfräuliche Natur einen Eigenwert hat. Etwa die Wahrnehmung eines klaren Sternenhimmels, eines unverstellten Sonnenunterganges. Einen Eigenwert, ähnlich wie das Kunstschöne, und wahrscheinlich sogar größer als das.
Doch – wieder – unberührt machen durch Berührung (und nichts anderes ist ja Renaturierung), das ist ein Paradoxon – und so unmöglich wie die Wiederherstellung von Jungfräulichkeit.
Und Kunst?
Kunst kann Naturerfahrung nicht ersetzen. Sie bietet aber jungfräuliche Erfahrungen.
Quelle: Impulsvortrag Workshop Februar 2022